Autorenadventskalender 2021
Ein Autorenadventskalender? Ihr fragt euch sicher, wie das funktionieren soll? Nun, alle teilnehmenden Autoren bereiten einen kleinen Beitrag für euch vor, den ihr dann an dem Tag sozusagen als virtuelles Türchen öffnen könnt. 🙂
Ich habe für euch eine Weihnachtsgeschichte mit den Protagonisten aus Almost Gone vorbereitet.
Wenn ihr Almost Gone gelesen habt, wisst ihr, dass ich nie viele Worte über Alessandro und Felicia Rosin verloren. Die Geschichte füllt die Lücke. Und Lulu trägt ganz nebenbei dazu bei, dass Carlys Eltern den wilden Eli akzeptieren. Trotz seines gewagten Aussehens.
Der Kalender startet am 01.12.2021 und ich kann euch nur empfehlen, auch die Beiträge und Webseiten aller anderen Autoren zu besuchen.
Titel: Almost Gone – (K)ein Happy End zu Weihnachten
Erscheinungstermin: Oktober 2021
Verfügbare Formate: Ebook (mobi, epub), Print
Preis Ebook: 2,99€
Preis Print: 15,99 €
Cover: Constanze Kramer, Coverboutique
Lektorat/ Korrektorat: Bianca Karwatt
Seitenzahl: ca. 448
Wörter: 90.000
Weihnachten im Hause Rosin - Eine Kurzgeschichte
Weihnachten wurde bei uns Rosins immer besonders groß gefeiert. Man könnte meinen, dass meine Eltern als Restaurantinhaber liebend gerne in ihrem Restaurant gefeiert hätten, aber meine Mutter, die die Küche schmiss, weigerte sich von jeher, an den Feiertagen auch nur einen Finger krumm zu machen.
Als Matteo und ich noch klein waren, gab es zuhause also meist einfache Küche oder aber wir fuhren zu Verwandten nach Italien, die in der Nähe von Venedig ein Gut besaßen. Weihnachten in Italien war einfach traumhaft. Seit Matteo allerdings eine eigene Familie hatte, bevorzugten es meine Eltern, sich von meinem Bruder und mir bekochen zu lassen. Meine Mutter meinte immer, dass sie aus genau diesem Grund zwei Kinder wollte, damit sie sich beim Kochen unterstützen konnten.
Ich lachte diesen Einwand einfach weg. Matteo und ich liebten es, zu kochen. Vor allem für die Familie. Je mehr Leute, desto besser. Und dieses Jahr sollte unsere Tafel noch einen Platz mehr aufweisen. Eli.
Mein Freund – wir waren erst seit wenigen Wochen ein Paar und ich musste mich noch daran gewöhnen – würde das erste Mal mit uns feiern. Und er war schrecklich nervös. Besorgt beobachtete ich ihn immer wieder. Heute war Heiligabend, kurz nach dreizehn Uhr. Mein Bruder erledigte die letzten Einkäufe und Eli und ich sollten uns noch etwas schonen. Matteo versah seine Bemerkung zwar mit einem Augenzwinkern, aber hinter seiner flapsigen Aussage verbarg sich eine andere Intention. Wir alle, Matteo und Odette, selbst meine siebenjährige Nichte Lulu, sorgten uns um Eli, denn er war nicht gesund. Sein Herz hatte vor ein paar Tagen einen Schwächeanfall erlitten und es hatte ihn eine ganze Weile auf die Couch gefesselt. Statt sich nach einem Schwächeanfall zu erholen, war er aufgetreten – und hatte sich prompt mit einem erneuten Zusammenbruch ins Krankenhaus befördert. Eli trainierte nicht nur Lulu und eine ganze Horde Kinder in Selbstverteidigung, nein, er trat auch als Sänger auf. Zwar meinte er, das Training ermöglichte ihm erst die Auftritte, doch meine Besorgnis blieb. Dennoch, als wir an diesem Nachmittag zu meinem Bruder und seiner Familie aufbrachen, wirkte Eli besonders nervös.
»Ob sie schon da sind?«
Ich hakte mich bei ihm unter und gemeinsam liefen wir von der Haltestelle zu Matteo. Er besaß ein kleines Häuschen in Hellersdorf, das er liebevoll renoviert hatte. In Gedanken bereits mit den Vorbereitungen für das Weihnachtsmenü beschäftigt, konnte ich Elis Überlegung nicht folgen. »Wer?«
Eli seufzte schwerfällig. »Ich denke nicht, dass sie denken, dass ich der Richtige für dich bin.« Er verlangsamte seine Schritte, bis er schließlich stehenblieb. Automatisch passte ich mich seinem Tempo an.
»Wieso? Was? Wer?« Irritiert blinzelte ich.
Eli stieß den Atem aus und zog seine schwarze Mütze vom Kopf. Den dunkelbraunen Irokesen verzierten seit ein paar Tagen knallrote Highlights. Die Spitzen leuchteten kräftig, so dass ein ganz besonderes Muster entstand, wenn Eli den Zopf in der Stirn beginnend flocht. Er trug die Haare etwas länger, so dass er eine recht ansehnliche Länge flechten konnte. Was er heute getan hatte. Er hatte sich fest vorgenommen, Matteo und mich beim Kochen zu unterstützen. Offen würden die Haare nur stören. Doch wenn Eli sie flocht, zeigten sich seine Tribaltätowierungen, die er auf den rasierten unteren Hälften beider Schädelseiten trug. Bedröppelt sah er mich an. Ich musterte ihn verwirrt.
»Ja?«
Eli verdrehte die Augen. »Carly«, ermahnte er mich leidend. »Wo gehen wir hin?«
Ich verzog das Gesicht. »Zu Matteo.«
»Was tun wir dort?«
»Kochen?«
»Und?«
»Essen?«
Eli seufzte. »Mit wem?«
»Matteo, Lulu, Odette, Mama, Papa …« Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Eli würde heute das erste Mal meine – und natürlich auch Matteos – Eltern treffen. Ich blinzelte. »Du hast Schiss vor meinen Eltern?«
Eli verzog das Gesicht. »Das ist für mich das erste Mal.«
Meine Augen weiteten sich verstehend. »Dass du die Eltern deiner Freundin …« Das Wort bereitete mir noch immer Unbehagen, aber das schien nichts im Vergleich zu Elis brennenden Wangen zu sein. Ungemütlich wand er sich.
»Können wir nicht gehen? Ich …«
Ich lachte auf. War das der Mann, der vor tausenden Zuschauern ungeniert blankzog? Wilde Tänze auf der Bühne aufführte? Angreifer mit seinen Kampfkünsten in die Flucht schlug? Jungen Frauen wie mir half, sich gegen üble Typen zur Wehr zu setzen? »Du hast Schiss.«, konstatierte ich.
Eli setzte die Mütze wieder auf, schob seine Hände tief in die Taschen seines schwarzen Kurzmantels. »Das ist eine völlig neue Erfahrung für mich. Was, wenn sie mich nicht … gutheißen könnten? Schau mich doch an. Entspreche ich denn der Vorstellung deiner Eltern? Als … Freund ihrer Tochter?«
Ich seufzte bedächtig, stellte die Einkaufstasche mit den restlichen Zutaten für die Mousse ab, und trat zu Eli. Zärtlich lächelte ich ihn an und legte meine Hände auf seine Wangen. Unsere Blicke kreuzten sich. »Definitiv nicht. Du siehst aus, als wolltest du jemanden verprügeln. Gefährlich und absolut nicht vertrauenswürdig.«
Eli stöhnte. »Siehst du.«
»Aber du vergisst, dass wir die perfekter-Schwiegersohn-ever-Nummer bereits hatten. Mark ist Arzt, die Ecksteins sind eine der angesehensten Familien der Stadt, verdammt, Eli, er war ein fucking Arzt und was hat mir das genützt? Ich bin auf die aalglatte Fassade hereingefallen. Er hat mich geschlagen, mich …«, ich atmete tief durch, »mich missbrauchst und mich zerstört.« Sein Blick verfinsterte sich bei der Erinnerung an Mark Eckstein, der selbst nicht davor zurückgeschreckt hätte, Eli zu verletzten, nur um mir im Nachhinein noch eins auszuwischen. Meinen Eli. Er wollte ihm irgendeinen Scheiß spritzen. Letztlich würde Mark diese Aktion vermutlich seine Karriere kosten. Aber das war längst nicht mehr mein Problem. »Du bist das absolute Gegenteil von Mark. Großmütig, warmherzig, liebevoll. Ich kenne keinen Menschen, der ein größeres Herz hat als du.«
»Krankes Herz, wolltest du wohl eher sagen.« Eli wich meinem Blick aus, als ob er sich für seine Mängel entschuldigen müsste. Ich nahm sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und musterte ihn eindringlich.
»Du bist perfekt. Für mich. Was meine Eltern angeht, sie werden dich lieben.«
Unsicherheit flackerte in seinem Blick auf. So kannte ich ihn überhaupt nicht. Wo war der freundliche, immer lächelnde, andere aufmunternde Mann geblieben, in den ich mich so verliebt hatte? Eli war es schließlich gewesen, der mich mit seiner Beharrlichkeit aus der Einsamkeit geholt hatte. Okay, und Lulu. Sie hatte mich schließlich erst mit ihm bekannt gemacht.
»Und wenn nicht?«
Ich seufzte. »Wir werden sie schon überzeugen, falls Zweifel aufkommen. Okay?« Geduldig wartete ich, bis er schließlich nickte.
Eli streckte sich nach der Einkaufstasche, doch ich hinderte ihn energisch daran. Die Ärzte verlangten absoluten Schongang von ihm und für mich schloss das das Tragen schwerer Taschen mit ein. Himmel, ich definierte unsere Beziehung doch nicht daran, dass er die schweren Taschen trug. Elis Körper war im Arsch, bei mir war es nur die Seele.
Eli rollte mit den Augen und gab schließlich nach. »Wollen wir nur hoffen, dass dein Vater nicht genauso groß ist wie Matteo.«
Ich streckte mich und tätschelte seine Wange. »Ach was, du hast meinen Bruder aufs Kreuz gelegt. Da wird dir das bei meinem Vater doch auch gelingen.«
Eli schüttelte den Kopf. Überzeugt wirkte er nicht, dennoch hielt er mir den Arm hin. Schließlich hakte ich mich bei ihm unter und gemeinsam setzten wir unseren Weg fort.
*
»Da seid ihr ja!« Lulus blonder Lockenkopf erschien zwischen Haustür und Rahmen. Verschwörerisch senkte sie die Stimme. »Kommt rein, aber seid leise.« Sie zog den Kopf ein, schnappte sich Elis Arm und zog ihn in den Flur. Misstrauisch runzelte ich die Stirn. Ich hielt noch immer den Arm in Klingehöhe, mein Finger schwebte quasi über dem Knopf. Lulu war schneller gewesen. Ich runzelte irritiert die Stirn und folgte meiner Nichte und Eli. Gerade noch sah ich, wie sie ihn nötigte, hastig Mantel und Schuhe abzulegen. Eli wirkte nicht minder irritiert.
»Lulu? Was ist los?«
Meine Nichte streckte sich und warf einen Blick ins Wohnzimmer. »Seid leise!«, murmelte sie, nachdem sie den Kopf wieder eingezogen und sich zu Eli gebückt hatte. »Nonna und Nonno sind bereits da und …« Lulu seufzte und hockte sich vor Eli. Offensichtlich wollte sie ihm beim Stiefel ausziehen unterstützen.
»Und du willst was …?« Von der Unsicherheit, die er auf dem Herweg versprüht hatte, war nichts mehr zu bemerken. Er schmunzelte und griff nach ihren Händen. »Mich verstecken?«
Lulu hob den Kopf. »Na ja.« Ihre Augen klebten an seinen roten Haarspitzen, den Tätowierungen. »Ein bisschen vielleicht?« Sie sprang auf und griff nach einer Nikolausmütze, die sie ihm mit beiden Händen über den Kopf stülpte.
Eli lachte liebevoll und mein Herz öffnete sich. Er griff nach Lulus Händen und zog sie samt Mütze zu sich. »Lulu, wovor fürchtest du dich? Das mich deine Großeltern nicht mögen könnten?«
Lulu seufzte und nickte, ihre Augen groß und ängstlich. »Was wenn sie dich fortschicken?«
»Niemand wird mich fortschicken. Weißt du, die gleichen Gedanken hatte ich auf dem Weg auch. Aber Carly hat mich überzeugt, doch herzukommen.«
Lulus Augen flogen zu mir. »Wieso? Hast du keine Angst?«
Ich schüttelte den Kopf, mein Haar wirbelte mir ins Gesicht. »Nein. Wir kennen Eli.«
»Aber Nonno …?«
»Habe ich da etwa meinen Namen gehört!« Alessandro Rosin trat in den Flur, die mächtigen Hände in die Seiten gestemmt. »Ich frage mich, wo meine nipotina hin verschwunden ist! Du wolltest mir doch deinen Bauernhof zeigen und ich sollte dir die Tiere auf italienisch bei …« Die Augen meines Vaters weiteten sich, als sein Blick auf Eli fiel. Unwillkürlich brach er mitten im Satz ab. Seine Augen glitten von Eli zu mir und wieder zurück. Ungläubig runzelte er die Stirn. »Carly, tesoro, ich habe dich gar nicht gehört. Hast du geklingelt?«
Der Tonfall meines Vaters änderte sich in dem Augenblick, in dem er nicht mehr über Lulus Bauernhof lamentierte, er Eli erkannte und verstand.
Ich versuchte, so neutral wie möglich zu klingen. »Nein, Lulu hat uns reingelassen.« Ich streckte die Hand nach Eli aus, ohne meinen Vater aus den Augen zu lassen. Er erhob sich und stellte sich neben mich, seine Finger verschränkten sich mit den meinen. Angespannt drückte er meine Hand. Okay. Ich erwiderte seinen Händedruck und warf ihm einen kurzen, aufmunternden Blick zu. Wir schaffen das. Unmerklich nickte Eli. »Darf ich dir meinen Freund vorstellen, Papa? Das ist Eli.«
Ich konnte praktisch sehen, wie es im Verstand meines Vaters arbeitete. Seine Augen tasteten ihn ab, angefangen bei seinen dunklen Hosen, dem schwarzen Rollkragenpullover, mit dem er den Großteil seiner Tattoos überdecken wollte, bis hin zu seiner leicht nach Wikinger auf dem Schlachtfeld wirkenden Frisur und den Tribals. Vaters Augen weiteten sich entsetzt, er schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander.
»Nein, Carly, einfach nur nein.« Abrupt machte Alessandro auf dem Absatz kehrt und floh ins Wohnzimmer.
»Scheiße«, entfuhr es mir.
Eli verzog das Gesicht. »Na das hat ja wunderbar funktioniert.«
*
Meine Eingeweide verknoteten sich zu einem wütenden Knäuel. »Das kann er nicht machen«, zischte ich Eli zu und beabsichtigte, meinem Vater ins Wohnzimmer zu folgen, natürlich mit Eli. Doch Lulu verfolgte ein anderes Ziel.
»Ich nehm Eli mit hoch und du kannst Nonno besänftigen, okay?« Wir tauschten Blicke aus und nickten. Doch wir hatten die Rechnung ohne Eli gemacht.
»Nein, wir verstecken uns nicht. Wir klären das sofort.«
Verblüfft musterte ich ihn. »Du wolltest gar nicht her.«
»Ja, aber jetzt sind wir hier, jetzt klären wir das. Was wäre denn die Alternative? Soll ich gehen?«
»Nein!«, wehrte Lulu vehement ab. »Du kannst dich in meinem Zimmer verstecken.«
Eli lachte. »Das ist sehr lieb von dir, aber ich verstecke mich nicht.«
»Und wenn du dich aufregst und wieder krank wirst?«
Eli seufzte und ging vor Lulu in die Hocke. Am liebsten hätte Eli die Krankheit vor den Kindern versteckt, er wollte nicht, dass sie mitbekamen, wie schlecht es ihm manchmal ging. Aber andererseits stand er auch für die Wahrheit ein und genau das wollte er den Kindern im Training vermitteln. Steht ein für das, wer ihr seid. Versteckt euch nicht. »Ich bin krank, Lulu, aber ich kann damit leben. Die nächsten Minuten werden etwas nervenaufreibend werden, aber wir kriegen das hin. Dein Großvater kennt mich nur nicht und er sorgt sich um Carly. Verstehst du das?«
Lulu nickte.
Eine Siebenjährige sollte nicht verstehen, was mir passiert war, aber keiner von uns hatte verbergen können, was Mark dieser Familie angetan hatte. Und so musste Lulu in ihren jungen Jahren lernen, dass es dort draußen Menschen gab, die anderen absichtlich wehtaten. Es zerriss mir das Herz. »Eigentlich ist Nonno ganz nett.«
Eli lächelte. »Siehst du, er wird auch zu mir nett sein. Und wenn nicht …«
»… dann boxe ich ihn!«
Eli unterdrückte ein Grinsen. »Tust du nicht. Wir haben darüber geredet.«
»Ja, aber …«
»Alles wird gut, Lulu. Du wirst sehen.« Eli erhob sich, lächelte mich an und reichte mir seine Hand. »Vertrauen?«
Ich ergriff sie und nickte. »Vertrauen.«
*
Gemeinsam betraten wir das Wohnzimmer. Mein Vater und meine Mutter saßen auf der Couch und unterhielten sich leise mit Odette. Vor dem großen Fenster stand unser Weihnachtsbaum. So hoch, dass die Spitze die Decke berührte. Matteo und ich hatten ihn bereits vor ein paar Tagen aufgestellt und gemeinsam mit Lulu geschmückt, während Eli uns mit sauertöpfischer Miene von seinem Stammplatz in der Couchecke aus beobachtet hatte. Er hätte so gerne geholfen, auch wenn er nicht besonders groß war. Matteo neckte Eli liebend gerne mit seiner Größe. Mein Bruder überragte Eli um fast zwei Köpfe, aber Eli brauchte nur vielsagend zu blicken und mein Bruder verstummte. Schließlich war Eli es gewesen, der zu Demonstrationszwecken Matteo über die Schulter geworfen hatte. Mein Bruder knabberte immer noch an dem Vorfall.
»Mom, Dad, das ist Eli, mein Freund«, platzte ich einfach heraus. Kurz und schmerzlich. Felicia Rosin, neben der mein Vater gerade wieder platz genommen hatte, wandte sich in meine Richtung. Ihre Augen weiteten sich unwillkürlich, als sie Eli musterte. Und ein klein wenig mehr, als sie unsere miteinander verschränkten Hände erblickte.
»Okay«, machte sie. Ich konnte sehen, wie viel Selbstbeherrschung es sie kostete, nicht eine ähnliche Reaktion wie mein Vater zu zeigen. »Und ihr seid …«
Ich hob Elis und meine Hände hoch. »Ja.«
»Seit wann?«
Ich zuckte mit den Schultern, Eli antwortete an meiner Stelle. »Seit ein paar Wochen.«
»So so.« Dad verschränkte die Arme vor der Brust. »Setzen.« Er deutete ans Fußende der Couch. Ich wollte platznehmen, doch mein Vater schüttelte den Kopf. »Nicht du, er. Du gehst in die Küche. Ich glaube, dein Bruder braucht noch Hilfe.«
»Dad!«, begehrte ich auf. Eli saß bereits auf der Couch und ich ließ mich einfach danebenfallen. »Du wirst meinen Freund nicht verhören!«
Mein Vater schmunzelte, bevor sich seine Augen verengten und er Eli anstarrte, als wäre er für den Weltfrieden verantwortlich – und hatte kläglich versagt.
»Doch, das werde ich. Alleine.« Er machte einen Rundumschlag.
»Nein! Wir sind hier nicht bei der Mafia, wir verhören keine festen Freunde, schon gar nicht …«
Meine Mutter erhob sich und lächelte mich liebevoll an. »Komm, Matteo braucht Hilfe bei den Antipasti. Und ich möchte hören, wie es dir geht. Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen.« Den spitzen Unterton in ihren Worten überhörte ich problemlos. Ich war daran gewohnt, unterschwellige Vorwürfe abzuwiegeln. Dennoch schmerzten sie. Mom hatte Mark vergöttert. Sie verstand nicht, was zwischen uns vorgefallen war und konnte sich absolut nicht vorstellen, das ich einen Mann wie Mark verlassen konnte. Zwischen uns lag einiges im Argen. Diese Probleme aufzuarbeiten war ich noch nicht bereit. Vielleicht mit Sarah, meiner Therapeutin.
»Gut«, antwortete ich einsilbig, doch meine Mutter ließ nicht locker. Geduldig musterte sie mich. Schließlich glitt ihr Blick zu Eli. Er lächelte mich an und nickte mir zu.
»Scheint so, als ob ich diese Verhöre mit jedem Mann in deinem Leben durchstehen muss. Geh schon. Niemand bringt mich um.«
»Aber …«
Eli schüttelte den Kopf. Ich war drauf und dran, sein Herz zu erwähnen, aber er wollte auf keinen Fall, dass mein Vater ihn bemitleidete. Sein Herz hatte er ganz alleine kaputt gemacht. Geschlagen nickte ich und erhob mich, aber nicht ohne meinem Vater einen drohenden Blick zuzuwerfen. »Wenn Blut fließt, kriegst du keinen Nachtisch.« Niemand lachte. Mist.
Mein Vater nickte und schließlich verließen Mama, Odette und ich den Raum und verzogen uns in die Küche, wo Matteo über den Antipasti brütete.
»Hey, Carly. Wo ist Eli?« Stirnrunzelnd ließ er seinen Blick über uns gleiten.
»Stellt sich dem Verhör.«
Matteo atmete tief ein. »Soll ich …?«
»Nein. Eli kriegt das hin. Wenn er um Hilfe ruft …«
»Er wird nicht um Hilfe rufen.« Stimmt auch wieder. Eli würde das Verhör stoisch ertragen, ruhig und geduldig sein, lächeln und seinen Kummer in sich hineinfressen. Wie es ihm danach wirklich ging, würde ich erst sehr viel später erfahren. Vielleicht an Ostern.
»Nimm dir eine Schürze und fang an. Wir wollen schließlich irgendwann heute Abend noch essen.« Ich gehorchte prompt. Meine Mom nahm an der Theke Platz und nippte an ihrem Wasser. Sie beobachtete uns eine Weile, wie wir wie ein eingespieltes Team in der Küche hantierten. Sie schien äußerst zufrieden zu sein.
»Du siehst gut aus«, begann sie irgendwann. Ich lächelte versonnen. »Er tut dir gut, oder?«
Ich sah auf, während ich die verschiedenen vorgegarten Antipasti auf einer Servierplatte arrangierte. Das waren ja ganz neue Töne. Kein Vorwurf wegen Mark. Matteo wollte die Antipasti zusammen mit einem Insalata Russa, einer Art Eiersalat, als Vorspeise reichen. Er kümmerte sich gerade um die Sardellenfilets, die er bereits vor Tagen in Knoblauch eingelegt hatte. Im Ofen garte bereits eine Lasagne, die die zweite Vorspeise bildete. Als Hauptgang servierten wir Risotto mit Lachs und zum Nachtisch brachen wir mit der Tradition und ich machte eine Mousse. Für Eli, den Schokoladenfanatiker. Soulfood würde er nach dem Verhör mit meinem Vater sicher gebrauchen können.
»Besser, Mama, besser.« Marks Einfluss reichte bis zu meinen Eltern. Zwei Jahre lang hatte ich Weihnachten nicht mit ihnen gefeiert, dieses Jahr saßen wir das erste Mal wieder zusammen hier in Matteos Küche.
»Ich hätte es besser gefunden, wenn du etwas länger alleine gebliebe wärst.«
Bämm, ich wusste es, genau darum ging es. Ich sollte nach Mark alleine bleiben, weil sie mir nicht zutraute, eine gesunde Beziehung zu führen. »Das hat sich so ergeben.«
»Eli ist großartig, Mom. Er hat …«, begann Odette, die es sich in der Sitzecke gemütlich gemacht hatte. Lulu war nach Großvaters Ansage schmollend in ihr Zimmer abgedampft. Auf meinen Blick hin hielt sie inne. Ich wollte nicht, dass sie Elis Vorzüge auspreiste, als stünde er auf dem Markt zum Verkauf.
»Er macht mich glücklich. Gibt es mehr dazu zu sagen?«
Mama holte tief Luft. Offensichtlich. »Du hättest dich erst einmal erholen sollen, ein paar Wochen ausspannen, und nicht gleich den erstbesten Kerl anschleppen. Wo hast du ihn überhaupt her? Und wie er aussieht. Ist er rechts? Du weißt, wir halten überhaupt nichts von politischen Gesinnungen, schon gar nicht, wenn sie offen zur Schau getragen werden …«
»Mom!« Ich ließ Löffel und Gabel fallen. Klappernd landeten sie auf Odettes teuerer Porzellanplatte. Matteo zog den Kopf ein und tat so, als müsse er konzentriert die Sardinen überwachen. »Gerade weil ich Eli habe, geht es mir gut. Er lenkt mich ab …«
»Na wenn du Ableknung brauchst, kannst du auch ins Restaurant kommen und arbeiten.« Das war wieder mal typisch. Das Restaurant. Genau deshalb wohnte ich bei Matteo und Odette und nicht bei meinen Eltern. Das Restaurant stand über allem. Die Spannungen gärten seit jeher.
»Darum geht es doch gar nicht! Eli ist ein wunderbarer Mann. Sortierst du die Menschen immer nach dem Aussehen? Dann hätte Mark ja per se schon einen Pokal verdient, oder?«
Das saß. Mom zuckte zusammen. Ihn hatte sie von Anfang an gemocht. Na klar, ein Arzt. Konnte mir eigentlich etwas Besseres passieren? Ich war noch nicht fertig. »Und weißt du, was Eli beruflich macht? Falls das überhaupt wichtig ist!«
Mama fixierte mich. »Ist es.«
»Er ist Sänger, in einer Folkband. Sie machen was mit Trommeln und so.« Im Prinzip hatte ich keine Ahnung, was für Musik Skalden machte. Irgendwas Nordisches. Aber es spielte auch keine Rolle. Nur Moms Reaktion zählte.
»Sänger? Und wie will er euer Leben finanzieren?«
In mir wuchs der Zorn. Immer die gleiche alte Leier. Der Mann hatte das Geld nach Hause zu bringen. »Er hat sein Geld, ich habe meins. Ich werde mich nie wieder von einem Mann abhängig machen.«
»Ach und damit kommt er klar?« Mom fixierte mich zornig.
»Der, der damit nicht mehr klarkam, war Mark. Und ich kam damit übrigens auch nicht klar. Bei Eli spielt es überhaupt keine Rolle, wer wie viel verdient.«
»Ja, vermutlich weil er sich von dir aushalten lässt.«
Genervt warf ich die Hände in die Luft. Egal wie man es machte, es war falsch.
»Mom, Eli ist okay«, mischte sich nun doch Matteo ein. Mein Bruder begehrte niemals gegen unsere Mutter auf, nie. Sie war sozusagen die Matriarchin und alle hatten sich ihr zu fügen. Dass Matteo es überhaupt wagte, den Mund aufzumachen, grenzte schon an einen Affront.
»Bitte?«
Mein Bruder lächelte sanft. »Vertrau Carly, vertrau mir. Eli ist okay.«
»Hört, hört. Und das, wo er dich aufs Kreuz gelegt hat«, stichelte ich. Matteo lächelte.
»Alles für einen guten Zweck.« Erst weil Matteo sich überhaupt hatte aufs Kreuz legen lassen, hatte ich mit dem Training begonnen, wodurch ich letztlich an Selbstbewusstsein gewann. Mama jedoch sah das etwas anders.
»Er ist auch noch gewalttätig?«
Ich verdrehte die Augen. »Nein.« Doch bevor ich zu einer Erklärung ansetzte, schepperte es aus dem Wohnzimmer. Alarmiert ließ jeder fallen oder stehen, was er gerade in der Hand gehabt hatte, und stürmte aus der Küche in den Flur. Selbstredend, dass dabei einiges an Gedränge entstand. Ein kindliches Heulen sorgte dafür, dass das Gedränge noch größer wurde. Jeder erkannte Lulu. Odette stand der Schreck ins Gesicht geschrieben. Mom war die Erste, die das Wohnzimmer erreichte. Ihre Ausgangsposition an der Theke ermöglichte ihr den schnellsten Start. Dicht gefolgt von mir und Matteo. Odette bildete das Schlusslicht. Sie hatte am längsten gbraucht, um sich aus der Sitzecke zu zwängen.
»O mein Gott«, entwich es meiner Mutter. »Ist alles okay bei euch!«
Lulu heulte auf, als ihre Nonna sich neben sie hockte. »Was ist denn passiert, Kleines?«
Matteo und ich folgten ihr und dann sah ich den Schlamassel. Lulu und Eli lagen als ein riesiges Knäuel aus Armen und Beinen vor dem Weihnachtsbaum. Schützend hielt er sie in den Armen, während ein Rad unter Elis Rücken hervorlugte. Mehr Räder würden es nicht werden. Lulu hatte nicht etwa ein Fahrrad zu Weihnachten bekommen, nein, Lulu hatte sich ein Einrad gewünscht und offensichtlich ausprobieren wollen, wie man darauf fuhr. Und Eli hatte sie gerettet – irgendwie.
»Lulu, Lulu!« Odette drängte sich an uns vorbei und ging neben Mom und ihr in die Hocke. »Ist alles okay?«
Eli ließ sie los, damit Odette und meine Mom sie trösten konnten. Er machte dabei ein schmerzverzerrtes Gesicht. Matteo reichte ihm die Hand, um ihn auf die Beine zu ziehen, doch Eli schüttelte heftig den Kopf. Vorsichtig schob er sich von dem Einrad herunter und ging auf alle Viere.
Während Odette leise französische Worte zu Lulu murmelte und Mom ihre Tränen trocknete, hockte ich mich zu Eli. Vorsichtig berührte ich ihn an der Schulter. »Alles okay?« Er schüttelte den Kopf. Ich verfestigte meinen Griff, wohl wissend, dass es im Augenblick besser war, Eli in Ruhe zu lassen. Also wandte ich mich an meinen Vater, der hilflos die Hände ausbreitend neben dem Sofa stand.
»Was ist passiert, Papa?«
Sein Blick konzentrierte sich auf mich, ein Ruck ging durch seinen Körper und er kehrte in die Realität zurück. Er seufzte. »Das Kind hat das Rad ausprobiert, als wir uns unterhalten haben. Sie drohte direkt in den Baum zu fallen. Eli hat sie aufgefangen. Und dabei haben sie sich ziemlich verheddert.« Alessandro fuhr sich durch das schwarze, an den Schläfen bereits ergraute Haar. »Padre Mio, Junge, bist du schnell. Er ist vorgeschossen, wie ein Blitz.«
Eli verzog das Gesicht. »Nicht schnell genug«, keuchte er und ließ sich nieder. Sein Gesicht kalkweiß, so dass die dunklen Tätowierungen einen noch krasseren Gegensatz bildeten als sonst.
»Wo hast du das nur gelernt?«
»Eli trainiert uns«, schniefte Lulu und kämpfte sich aus dem Griff ihrer Mutter. »Er kann noch viel weiter und viel höher springen. Sooooo hoch!« Odette lachte unter Tränen.
»Na dir geht es ja offensichtlich schon wieder gut.«
Lulu grinste. »Bestens.«
Eli griff sich an die Brust und konzentrierte sich aufs Atmen. Während Lulu und schillernden Farben berichtete, wie Eli sie gerettet hatte, konzentrierte ich mich ganz auf ihn. »Was brauchst du?«
»Wasser, vielleicht«, murmelte er abgehakt. Matteo, der Lulu nur mit einem Ohr zuhörte, reagierte sofort.
»Hole ich, Kumpel.«
Mein Vater gesellte sich zu uns. »Also du magst ja aussehen wie ein Verbrecher, aber du hast das Herz am rechten Fleck. Was hast du? Alles okay?«
Ich atmete tief durch. Der Streit mit meiner Mutter steckte mir noch in den Knochen und ich hatte keine Lust, das meine Eltern erneut über Eli herfielen. »Herz hat er, das ist los.«
Eli griff nach meiner Hand. »Carly, nicht.«
»Aber es stimmt doch. Ihr kommt her und verurteilt ihn, ohne ihn überhaupt zu kennen. Ihr wisst doch absolut überhaupt nichts.«
Mein Vater sah mich an. »Niemand verurteilt hier irgendwen.«
»Oh, das musst du gerade sagen.« Ich schoss mich gerade ein, als Elis Hand sich um die meine krampfte.
»Carly.« Plötzlich wurde mir klar, dass Eli recht hatte. Wir hatten Wichtigeres zu erledigen, als meine Eltern zurechtzuweisen. Ich wandte mich wieder ihm zu und fuhr ihm über die Stirn. Eli lächelte schwach. »Alles okay?«
Matteo erschien mit seinem Wasser und drückte ihm das Glas in die Hand. Eli trank ein paar Schlucke. »Mach dir keine Sorgen.«
»Ich mache mir immer Sorgen.«
Langsam beruhigten sich alle. Lulu ging es gut, doch allmählich bekamen auch meine Mutter, Lulu und Odette mit, dass Eli den Vorfall nicht gänzlich unbeschadet überstanden hatte.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte meine Mutter. Besorgt runzelte sie die Stirn.
»Nein, Mom, Eli geht es nicht gut«, schimpfte ich weiter. »Aber das interessiert dich ja sowieso nicht, oder? Dich interessieren ganz andere Dinge!« Wütend fixierte sich sie. Eli drückte meine Hand, doch ich wollte mich nicht beruhigen.
»Natürlich interessiert es mich. Immerhin hat er meine Enkelin vor Schaden bewahrt. Danke.« Meine Wut legte sich etwas. Ich wusste, wie biestig meine Mutter werden konnte, aber im Augenblick schien sie es ernst zu meinen. Also atmete ich tief durch.
»Egal, was du sagst, Mama, Eli und ich sind zusammen. Du kannst dich ruhig an ihn gewöhnen. Schaffst du das?«
Mom seufzte, schließlich nickte sie. »Er hat meine Enkelin gerettet. Ich weiß nur, dass Mark das nie getan hätte.«
Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. Ich fuhr nicht mal mehr ängstlich zusammen, wenn jemand seinen Namen erwähnte. Meine Mutter schien das absichtlich getan zu haben und offensichtlich mit meiner Reaktion zufrieden zu sein.
»Dir geht es gut«, fügte sie hinzu. »Aber ihm nicht.«
»Wird schon wieder«, murmelte Eli und machte Anstalten, sich zu erheben. Matteo reichte ihm die Hand und half ihm vorsichtig auf. Dabei musterte er Eli eindringlich, bevor er sich an Lulu wandte, die mittlerweile neben Eli saß.
»Sag mal, Lulu, was sollte diese Aktion eigentlich? Du hättest dich verletzten können, wenn Eli dich nicht aufgefangen hätte. Du weißt doch, dass du das Einrad nur mit einem Erwachsenen zusammen ausprobieren darfst.«
»Eli war doch da. Ich wusste, er rettet mich.«
Irritiert blinzelte ich. »Du …« Das Offensichtliche fiel mir wie Schuppen von den Augen. »Du hat das absichtlich getan?«
Während ich Lulu ins Verhör nahm, hockte sich Eli auf die Couch und trank noch ein paar Schlucke Wasser. Lulu zuckte mit den Schultern. »Ich wollte, dass Nonno ihn gern hat. Sie klangen so ernst. Ich wollte nicht, dass Eli gehen muss.«
Mein Blick verfing sich mit dem meines Vaters. Alessandro zuckte mit den Schultern. »Wir haben uns nur unterhalten.«
Ich konzentrierte mich wieder auf Lulu, doch Matteo war schneller. »Und da dachtest du, allen zu ziegen, wie gut du schon Einrad fahren kannst, hilft? Indem Eli dich rettet?«
Lulu nickte betroffen. »Ich wusste ja nicht, dass er …«
Seufzend nahm ich neben Eli Platz und ergriff seine Hand. Er schmunzelte verhalten. Allmählich kehrte das Blut in sein Gesicht zurück und er bekam wieder etwas Farbe. »Lulu, du kannst doch nicht erwarten, dass Eli dich immer rettet.«
»Er hat auch dich gerettet.« Lulu vertraute ihm, absolut. Ihr Urvertrauen Eli gegenüber erschütterte mich.
»Hat er?«, hakte mein Vater nach.
Ich seufzte. »Ja.«
»Und wie? Du warst …« Mein Vater brach ab. Für ihn war die Beziehung zu Mark und ihr Ende ein reines Mysterium. Mark war Arzt, und damit vergötterten ihn meine Eltern. Sie konnten sich in den vergangenen zwei Jahren absolut nicht vorstellen, warum wir nicht am Weihnachtsessen teilnahmen. Irgendwas musste mit mir nicht stimmen, jawohl. Das schien die einfachste Erklärung, denn Mark war ja … Arzt.
»Mark hat mich krank gemacht, Papa.«
»Und Eli hat Carly wieder ganz gemacht«, erklärte Lulu als sei diese Tatsache für sie so sicher wie der Sonnenaufgang jeden Morgen. Erwartungsvoll blickte mich mein Vater an.
Eli wollte nicht, dass ich ihn in glänzendem Licht darstellte, doch er hatte es verdient, das meine Eltern ihn wirklich kennen und lieben lernten. »Eli gibt Unterricht in Selbstverteidigung und trainiert die Kinder. Da haben wir uns kennengelernt.«
»Ich wusste es, er ist doch gewalttätig. Das sieht man ihm schon an«, schnarrte meine Mutter. Ich warf ihr einen bösen Blick zu.
»Kampfsport hat absolut nichts mit Gewalt zu tun. Er senkt das Aggressionspotential. Gerade weil die Kinder wissen, wie man sich verteidigt, schlagen sie nicht wild um sich«, erklärte Eli.
»Und Eli ist richtig gut.« Lulu himmelte ihn an. Eli lächelte liebevoll.
»Das ist trotzdem kein Grund, Einrad-Stunts zu machen. Du hätest dich verletzten können und ich …« Eli verzog das Gesicht. »Ich bin noch nicht wieder fit.«
Zerknirscht senkte Lulu den Kopf. »Tut mir leid.«
»Ist okay.« Eli lächelte.
Ein Piepsen aus der Küche löste die Runde auf. Schließlich wandten sich Matteo, Odette und mein Vater Richtung Küche, gefolgt von Lulu. Mom blieb mit mir und Eli im Wohnzimmer zurück. Schweigend betrachtete sie ihn.
»Es tut mir leid, dass ich so aufbrausend war«, begann sie. »Aber ich wollte nur …«
Ich seufzte. »Das beste für mich, ich weiß.«
Mom griff meine Hand. »Ich hätte dasein sollen, aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht verstehen, wie ein Arzt so etwas tun konnte. Ich meine, er ist Arzt und …«
»Nicht mehr lange. Mark wird seine Approbation verlieren.«
Schockiert starrte mich meine Mutter an. »Wie bitte?«
»Er hat erneut versucht, mich anzugriefen.«
»Carly … das ist ja furchtbar.« Sie drückte meine Hand. »Was ist passiert?«
»Wir sind ihm im Krankenhaus begegnet. Eli …« Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. Über seine Krankheit zu reden, stand mir nicht zu. Ich brauchte zumindest sein Einverständnis. Natürlich lächelte Eli und nickte. Ich atmete tief durch und fuhr fort. »Eli hatte einen Schwächeanfall und musste in die Notaufnahme. Dort begegneten wir ihm.«
Mom musterte Eli. So langsam schien ihr klarzuwerden, warum Eli Lulus Unfall so zu schaffen gemacht hatte.
Leise begann er zu sprechen, erzählte von seiner Drogenvergangenheit, wie sein Herz darunter gelitten hatte und wie sein derzeitiger Gesundheitszustand aussah. Moms Miene veränderte sich.
»Und da hast du trotzdem Lulu gerettet?« Unwillkürlich war sie zum Du übergegangen. Eli und ich gehörten zusammen. Sie schien dies in den letzten Minuten begriffen zu haben. Also machte es für sie nicht länger Sinn, ihn zu siezen. Mark war nie bis zum Du vorgedrungen, allerdings hatte er auch kein Interesse an meiner Familie gezeigt.
Eli zuckte mit den Schultern. »Reflexe?«
Mom beugte sich vor und tätschelte sein Knie. Warmherzig lächelte sie ihn an. »Danke.« Dann erhob sie sich. »Ich glaube, ich werde mal ein wenig beim Essen helfen.«
»Aber, Mom, du willst doch Weihnachten nie kochen. Deswegen …«
Meinen Protest lächelte sie einfach weg. »Stimmt, aber du musst dich um unseren Helden kümmern, damit er zumindest nachher beim Tischdecken helfen kann. Denn das ist Männersache bei den Rosins und da du ja jetzt zur Familie gehörst, erwarte ich, dass du dich auch beteiligst. Verstanden?«
Ich hatte Eli noch nie so verblüfft erlebt, doch er erholte sich schnell und lächelte. »Natürlich …«
»Nonna«, schlug meine Mutter vor. »Du kannst mich auch Nonna nennen. Wie Lulu.«
Elis Lächeln erwärmte mein Innerstes.
»Nonna, danke.«
Mom drückte noch einmal kurz meine Schulter, bevor sie das leere Wasserglas nahm und mit einem knappen Nicken das Wohnzimmer verließ. Wir saßen noch einen Augenblick beisammen, betrachteten einfach nur den Weihnachtsbaum und genossen das Geklapper und Geplauder, das aus der Küche zu uns hinüber drang.
»Was zur Hölle ist gerade passiert?«, fragte Eli nach einer gefühlten Ewigkeit.
Ich atmete tief durch. »Ich glaube, Lulu hat gerade dafür gesorgt, dass meine Eltern dich akzeptieren. Irgendwie.«
Eli legte seinen Arm um mich und drückte mich an sich. »Etwas gewagt, wenn du mich fragst.«
»Ziemlich, aber dennoch wirkungsvoll. Lulu eben.«
Eli lachte, gelöst und deutlich entspannter. Er lehnte sich gegen die Polster und zog mich einfach mit sich. »Und was machen wir mit dem freien Nachmittag?«
Wie von selbst schlüpfte meine Hand unter seinen Pullover. »Nun ich wüsste da was.«
Automatisch spannte sich Eli an. »Spinnst du? So gutkenne ich deine Familie auch noch nicht, als das ich mir so etwas hier erlauben würde.«
Ich lachte auf. »Okay, dann genießen wir einfach nur das Gefühl, dass die Familie dir keine Betonschuhe verpasst hat.«
Eli warf mir einen irritierten Blick zu. »Das würden sie tun?«
»Keine Ahnung, aber ich denke mal, Lulu hat das befürchtet. Also musste sie zu drastischen Mitteln greifen.«
Lächelnd schüttelte Eli den Kopf. »Dieses Kind.«
»Lieben wir alle.« Ich richtete mich etwas auf und küsste ihn zärtlich. »Fröhliche Weihnachten, Eli.«
»Fröhliche Weihnachten, Carly.«
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